Allen Menschen Bruder. Maximilian Kolbe.

Franz Xaver Lesch OFMConv und Helmut Holzapfel

LEBEN UND WERK PATER KOLBES

P. Maximilian Kolbe ist eine Priestergestalt unserer Zeit. Nicht als ob die Quellen seine Biographie erst mühsam ausgegraben werden müssten; und nicht, als ob die geschichtliche Erscheinung dieser kühnen Gestalt erst durch gewagte Schlüsse und gierige Hypothesen Konturen erhalten müsste: alle diese »als ob« kann sich selbst der kritische Beobachter P. Kolbes - als des im 20. Jahrhundert geborenen Franziskus von Assisi – sparen. 

Der polnische Minoritenpater spricht unmittelbar aus seinen unvergilbten Manuskripten zu uns; in noch frischen Fotos können wir den edlen Zügen seines durchgeistigten Antlitzes nachspüren. Seine Geschichte verweist uns ständig auf unsere Geschichte. Der Lebensstil seines beispielhaft christlichen Daseins in der Welt der Menschen und der Dinge ist durchaus nicht der romantischer Vergangenheit. 

P. Maximilian Kolbe ist eine das Evangelium in seiner Radikalität wagende Priestergestalt unserer Tage - und damit auch unserer explosiv vielschichtigen Welt. 

Kolbes Kindheit und Jugendzeit tragen nichts Auffallendes an sich. In Zdunska Wola in Mittelpolen wurde er am 7. Januar 1894 als zweites von fünf Kindern geboren; er entstammte einer Arbeiterfamilie. Der Sohn Raimund, von wacher Bubenart, flink und etwas unberechenbar, zog nach der Volksmission 1905, gepredigt von Minoritenpatres, ins Gymnasium von Leopoli. Im September 1910 nimmt ihn der Orden des hl. Franz von Assisi in die Reihen der Minderbrüder auf; er erhält den Namen Maximilian. Nach harten geistlichen Auseinandersetzungen wagt er die ausschließliche Bindung an Gott in der Profess am 5. September 1911. Nach ersten Studien in Krakau zieht er im Oktober 1912 nach Wunsch seines Provinzials nach Rom. Mit dem Doktor der Philosophie schließt er 1915 sein Studium in der Gregoriana ab; er zählt 21 Jahre. Das theologische Studium am Internationalen Ordenskolleg beendet er 1919 mit dem Dr. Theol.; Kolbe ist jetzt 25 Jahre alt. 

Während des römischen Aufenthalts ereignete sich für Kolbe noch einiges mehr als nur ein gelungenes Studium. Im Leben eines konzentriert Glaubenden geschieht es ja oft, dass äußere Vorkommnisse Anlass für die Erkenntnis göttlichen Willens und für die Erfahrung anregender Gnade sind. Diese christliche Tatsache trifft auch für den Studenten Maximilian zu. 

Es war im Januar 1917 in Rom. Die Freimaurer feierten ihr 200jähriges Gründungsfest. Dabei sparten sie nicht an Parolen: „Der Teufel wird im Vatikan regieren und der Papst wird ihm als Schweizergardist dienen“. Dieses Ereignis bewertet Kolbe 1941 folgendermaßen: „Diese von Gott fernen Menschen befinden sich in einem bedauerlichen Zustand. Solch tödlicher Hass gegen die Kirche und den Stellvertreter Christi auf Erden ist nicht nur irgendwie eine Mache einzelner Personen, sondern eine systematische Tätigkeit, die letztlich aus der Freimaurerei kommt.“ 

Um diesen unglücklichen Menschen die Hand zu reichen, um allen zu einem begnadeten Leben zu verhelfen - und das unter dem Schutz und durch die Vermittlung der Unbefleckten Jungfrau Maria - gründet Maximilian zusammen mit sechs Mitbrüdern am 17. Oktober 1917 im Ordenskolleg zu Rom die Kampftruppe der Unbefleckten, die Militia Immaculatae (MI), in deutscher Sprache unter dem Namen »Kreuzzug« bekannt. Die Gründungsurkunde bestimmt als Ziel, um die Bekehrung der Sünder, der Häretiker, der Schismatiker, besonders aber um die der Freimaurer sich zu bemühen - und um die Heiligung aller Menschen. - Welch ökumenisches Anliegen! - Noch als Subdiakon mit 23 Jahren wurde durch diese Initiative Kolbe zum Vater einer weltweiten Bewegung, die kein geringeres Ziel hatte, als die ganze Welt so zu Gott zu führen, dass Er alles in allem zu sein vermag. - Die äußeren Möglichkeiten im Jahre 1917 waren noch sehr begrenzt. Wo jedoch grenzenlos gearbeitet wurde, war das Feld der restlosen Bereitschaft und die vertrauensvolle Hingabe an die Zukunft. - Am 28. April 1918, genau sechs Monate nach der Diakonatsweihe, wurde Maximilian Priester. Am 23. Juli 1919, einen Tag nach Aushändigung des theologischen Doktordiploms, kehrt P. Kolbe in seine Heimat Polen zurück. Als Dozent der Kirchengeschichte in Krakau kann es die römischen Milizpläne greifbare Gestalt annehmen lassen. 

Die erste Bewährungsprobe bleibt nicht aus: P. Maximilian wird krank. Lungenschwindsucht, die schon in Rom ihre ersten Schatten warf, zwingt ihn für fast zwei Jahre ins Sanatorium von Zakopane. Alle äußere Aktivität ist lahmgelegt; Kampf ohne Aktion: etwas Eigenartiges, die Probe des Übernatürlichen, die Prüfung menschlicher Uneigennützigkeit und der Beweis göttlicher Andersartigkeit. Er schreibt:  „Ich befolge den Wunsch von P. Provinzial und beschäftige mich hier nicht mit der Miliz. Ich organisiere nichts, obwohl mich manchmal eine starke Versuchung dazu treibt, aber besser: Gehorsam, Gehorsam, das ist der göttliche Wille in allem. Geben wir acht, dass wir nicht mehr in der Miliz tun als der Gehorsam erlaubt; denn dann würden wir nicht wirken als Werkzeug in den Händen Mariens.“ 

In solchen Worten zeichnet sich schon die Art seines zukünftigen Aktionsstils ab. 

Nach seiner Rückkehr zu Weihnachten 1921 geht P. Maximilian in Krakau sofort wieder an die Arbeit: Die Milizkreise erweitern sich, die Säle werden zu klein, die Entfernungen zu groß. Hier kann nur das gedruckte Wort helfen. Und so kommt es zur ersten Nummer seiner Zeitschrift, des »Rycerz Niepokalanej«, des »Ritters der Unbefleckten«, mit einer Auflage von 5000 Exemplaren. 

Ein verheißungsvoller Anfang. - Das sichere Ziel stets vor Augen und seine rastlose Tätigkeit, dazu die Hilfe der himmlischen Mutter - drei Momente, die eine erfolgreiche Zukunft garantieren. 

1922 zieht P. Kolbe in den polnischen Norden, ins Kloster Grodno; es bieten sich mehr räumliche Möglichkeiten. Von dort schreibt er:  „Meine Zeit ist sehr ausgefüllt; die Leserzahl nimmt in großen Sprüngen zu. Die Unbefleckte führt mit mächtiger Hand ihren »Ritter«. Zum Kranksein habe ich keine Zeit. - Zwar heizt mir manchmal das Fieber den Kopf; ich werde schwach, aber wie gesagt: ich habe keine Zeit.“ 

P. Kolbe musste sich Zeit nehmen. Vom Winter 1925 bis März 1927 kuriert es zum zweiten Mal seine Lunge. Jetzt übernimmt sein leiblicher Bruder Alfons Organistion und RRedaktion; wie dieser selbst schrieb, waren seine Anschauungen und Absichten die P. Maximilians. Das geistliche Unternehmen geht weiter: 1927 zählt der »Ritter« schon eine Auflage von 60000 - und die Zahl der eingeschriebenen Milizmitglieder ist allein in Polen auf 126 000 gestiegen. So meint Kolbe: „Die Immaculata zwingt uns, nach größeren Gebäuden uns umzusehen.“ Da schenkt im August 1927 der Fürst Drucki-Lubecki 28 000qm Land. Die Immaculata nimmt durch eine Statue das neue Gebiet unter ihre Schutzherrschaft, sie gibt auch den Namen: Niepokalanow, Immaculatum, Stadt der Unbefleckten. Diese Niederlassung, 42km westlich von Warschau, soll Pressezentrale werden. 18 Brüder, P. Alfons und ein unermüdlicher Motor, P. Maximilian, machen sich ans Werk. Gebaut werden zunächst die Kapelle, eine Druckerei, eine Elektrozentrale und ein Montageraum. Dabei war dieser Minderbruder unserer Zeit geizig bedacht, kein Gewinnrechnen sich einschleichen zu lassen, Damit wäre für ihn jeder Fortschritt lahmgelegt. "Natürlich müsste dann", so sagte er, "der Fluch der hl. Franziskus auf diese Art von Stadt kommen, die ein sicheres Auskommen gewährleistete. Ein Segen des Himmels wäre es, wenn sie in die Luft flöge oder wenn die Konfiskation solch unwürdiger Verwaltung einträfe, dass die Herren Brüder wieder die armen Brüder werden und sich zur Arbeit am Heil der Seelen aufraffen - selbst unter der Befürchtung, kein Stückchen Brot im Hause zu haben." 

So ist es die unvergleichliche Gelassenheit des selbstlosen, im Glauben wurzelnden Menschen, die P. Kolbe in einem fort bewegt. In seiner Lebensweise zeigt sich das geheimnisvolle Ineinander von Aktion und Passion, von Getragen werden und lauterem Engagement. Kolbes Gedanken können daher auch über nationale Grenzen in die Mission ziehen. Schon bald schaut er auf die Weltkarte. Er misst, teilt ein, er wiegt die Kräfte mit seinen Absichten, und seine Absichten wiegen die Kräfte aus, bis er dann schließlich sagt: „Wisst ihr, Brüder, wir müssen eine ausländische Mission haben. Mit Mühe werden wir es schaffen können; wir haben Vertrauen auf die Immaculata.“ 

Noch im März 1930 zieht er von Marseille aus gen Osten. In Japan schreibt er dann:  „Unterwegs orientieren wir uns, wie weit die Herausgabe des »Ritter« möglich wäre in den verschiedenen Ländern wie Syrien, Ägypten, Abessinien, Indien, Malabar, Annam und in China. Nach 35tätiger Schifffahrt kamen wir nach Shanghai; von dort ging es mit zwei Brüdern nach Nagasaki, um die japanischen Voraussetzungen für unsere Zeitschrift zu untersuchen. Unter der Bedingung, den »Ritter« sofort in japanischer Sprache drucken zu dürfen, verpflichtete ich mich, im dortigen Diözesanseminar Philosophie zu dozieren.“ 

Ende Mai 1930 präsentierte P. Kolbe schon den »Seibo no Kishi« - so hieß die japanische Milizzeitschrift; Erstauflage: 10 000 Exemplare. Mit einer Auflage von 70 000 war sie 1939 das größte katholische Presseorgan Japans. Der Grund für diesen beachtlichen Erfolg lag nach Kolbes Worten darin: „Der »Seibo« richtete sich nicht nur an Katholiken, sondern vor allem an Heiden; anfangs nahmen sie ihn mit Neugierde, dann aber mit Sympathie auf. Auch die Bonzen, also heidnische Priester, sandten uns ihre Adressen zu; sie lasen ja auch religiöse Bücher aus unserer Bibliothek.“ 

P. Kolbe, vom marianischen Charisma getrieben, konnte nicht ruhen. Noch im Monat seiner Ankunft in Nagasaki schrieb er:  „Von Shanhei kann man auf ganz China ausstrahlen. Das Drucken des chinesischen »Ritter« lässt sich vielleicht in Nagasaki einrichten. Zur Zeit bemühe ich mich um eine chinesische Übersetzung. Später möchte ich gerne eine stärkere Missionsstation in Indien anlegen für alle Sprachen Indiens - und in Beirut für andere Sprachen: arabisch, syrisch, ägyptisch, tunesisch, marokkanisch, persisch, hebräisch. So würde die Aktion des »Ritter« und der Miliz über eine Milliarde der Menschheit zählen, d.h. die Hälfte der Erdbewohner umfassen. Möge Immaculata selbst alles leiten, wie sie es will.“ 

„Was Sibirien für die Zukunft betrifft, so denke ich nur die Absicht der MI zu verwirklichen, das ist: die ganze Welt für die Immaculata zu erobern. Gleichzeitig dachte ich auch, ein chinesisches Niepokalanow nicht weit von Peking vorzubereiten. So würde sich der erste Teil des zwei Jahren entworfenen Planes für die Welteroberung abrunden - in der Gewinnung Chinas, Japans und Indiens. Zugleich müsste man die Niepokalanow in Europa vermehren: in Deutschland, Frankreich, Spanien, England und in den anderen Staaten. - Und während wir planen, auf der einen Erdseite die Banner der Immaculata zu hissen, müssen wir denken an Kanada, an die USA, an Mexiko, an die Republiken Mittelamerikas, an Brasilien, Argentinien, Chile, Peru, Bolivien. So viele "Ritter" muss man drucken, als es Sprachen gibt. Möge der Unbefleckten es vorbehalten sein, diesen Augenblick nahen zu lassen.“ 

P. Maximilian Kolbe denkt weit in die Zukunft hinein. Was er sich von ihr erhoffte, klingt beinahe fantastisch, es scheint sogar utopisch. Doch bleibt er auf dem Boden der Wirklichkeit, er macht sich immer wieder seine gegenwärtige Situation bewusst. So sagt er 1931: „Ach, ich vergaß es, wir haben erst 30 000 Exemplare und einen Mitbruder japanischer Nationalität; und nur einen´kleine Druckmaschine, und nur ein Gebäude - und das ist doch nicht beendet. Und die Schiffe und die Flugzeuge und die Radiostationen - bis dahin ist noch ein weiter Weg. Aber Ehre der Immaculata, für alles; mit starker Hand breitet sie ihren »Ritter« schnell aus.“ Und doch scheint das Argument der Utopie wie hinweggefegt, wenn wir hören: Kolbe hatte 1938 in Polen eine eigene Radiostation, er hatte ein rolliertes Gelände für vier Flugzeuge, seine Monatszeitschrift hatte schon die erste Million erreicht - die Zahl der MI-Mitglieder ist bis heute auf drei Millionen gewachsen. 

Kolbe hatte noch andere drei Pläne; sein ernst kalkulierender Verstand war es, der die Grenzen der Erreichbaren immer weiter nach vorne drängte. - Er war ja erst 45 Jahre alt, als äußere Gewalt ihm die Hände gebunden hat. 

Anfang Mai 1930 also kam P. Kolbe in Japan an, Ende Mai war seine Zeitschrift erschienen; im Juni desselben Jahres zog er schon wieder zum Provinzkapitel nach Polen. Und im August 1930 war wieder Reisetag - nach Osten. Von Warschau nach Moskau, wo er vier Tage blieb, über Sibirien, die Mandschurei nach Korea, und vorn da wieder nach Nagasaki. Dort plant und schafft er weiter. Der polnischen Pressezentrale vergleichbar baute er die japanische Stadt der Unbefleckten, Mugenzai no Sono: Garten der Immaculata; wieder war das erste Gebäude eine Kapelle, dann ein Maschinenraum, eine Elektrozentrale und ein Konferenzraum. 

Im April 1933 folgt P. Maximilian erneut der Einladung zum Provinzkapitel. Dann trieb es ihn zum dritten Mal nach Japan. Dort wird er nach aufreibender Arbeit wieder krank; er kehrt zum polnische Niepokalanow zurück, das 1936 schon 700 Minoriten beherbergte. 

P. Kolbe will universal und er muss international sein. Über völkische Zäune hinweg gehen seine Pläne, durch trübe Augen dringt sein heller Blick, es gibt keinen Menschen, dem er nicht den Kuss des Friedens und der Verbundenheit schenkte. - P. Maximilan Kolbe ist universal: Keine der legitimen Möglichkeiten lässt er ungenutzt. Mit dem Einsatz aller möglichen Massenmedien und Kommunikationsmittel will er verwirklichen, was in der Gründungsurkunde seiner geistlichen Kampftruppe steht: die Bekehrung der Gottfernen und die Heiligung aller glaubenden Menschen. Doch wenn die Sonne ihre stärkste Kraft reifenden Früchten schenkt, kündigt sie mit ihrem Zenit auch schon ihren Untergang an, um dann wieder neu aufgehen zu können. Mitten in die verheißungsvoll faszinierende und fast ins Unendliche sich weitende Aktivität des polnischen Minoritenpaters Maximilian Kolbe bricht das lärmende Grauen des Krieges.